Stadtkirche St. Marien GreizAuf diesem Herd in der winzigen Küche wurde in der Türmerwohnung der Stadtkirche St. Marien gekocht.

Historische Plaudereien in 60 Meter Höhe – zu den Aufgaben des Türmers gehörte auch das Sturmläuten

GREIZ. Es ist nun weit über achtzig Jahre her, da gab es in Greiz noch Stadttürmer. Im Kirchturm der Stadtkirche „St. Marien“, ganz oben, in knapp 60 Metern Höhe hatten sie ihren „Amtssitz“. Einer der letzten, die nach dem 1826 beendeten Neubau des heutigen Stadtkirchenturms in der Türmerwohnung lebte, war Oskar Roßner. Bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1926 war er hier tätig. Vor ihm sollen es die Beikirchner Hertwig, Reiher und Lätsch gewesen sein, während von der ursprünglichen, beim großen Stadtbrand von 1802 zerstörten Kirche, die nur einen kleinen Turm von 100 Ellen (altes Maß, 66 cm je Elle) besaß, nichts über Türmer bekannt ist. Bis ins 18. Jahrhundert hinein hatte auf dem Turm des Oberen Schlosses auch der Stadtpfeifer, von der Herrschaft Reuß berufen, aber zugleich städtischer Angestellter, seinen Sitz. Er richtete dort das Uhrwerk nach der Sonne, hatte alle Stunden mit dem Horn zu melden und Lieder mit der Posaune zu blasen – war also gleichsam der mittelalterliche Greizer Stadttürmer.

155 schmale Brettstufen muss man im Kirchturm von „St. Marien“ hinaufsteigen, wo bis 1931 Beikirchner Martin Oettel wohnte, ohne jedoch diese alten Funktionen noch auszuführen. Seit 1928 wurde mit Anlage eines elektrisch betriebenen Läutwerks die Türmerarbeit überflüssig. Außerdem gab es im inneren Stadtgebiet nun „neuzeitliche“ Feueralarm-Glocken, die die einstiegen Turmwachen ebenso überflüssig machten.

Im größten der drei kleinen Räume (eine winzige Küche befand sich daneben) sieht man noch die Bretterluke der Decke, durch die einst das Seil der mittleren drei Glocken in den Wohnraum hinab hing, mit dem die Türmer über Jahrzehnte hindurch tagtäglich anzuschlagen hatte. Hinzu kam, dass der Stadttürmer mit noch zwei oder drei weiteren Gehilfen zum Läuten aller drei Glocken bis zum Glockenstuhl hinauf musste, um sie durch Ziehen von Seilen oder Treten oberhalb der Gewinde läuten zu lassen. Nicht nur aus kirchlichen Anlässen bzw. früh, mittags und abends musste die mittlere Glocke in Bewegung gesetzt werden; nein, auch wenn schwere Brände, Unwetter oder andere Katastrophen die heutige Greizer Innenstadt bedrohten, war Sturmläuten mahnende Pflicht. Sicherlich keine leichte Arbeit, zumal es oft früher noch Stundenschlagen gab.

Antje-Gesine Marsch @12.08.2014
Quelle: Dr. Franz Hauschild, Heimatbote 12/1968